Igersheimer Impulse - Rückblick

„Ohne Busse – die neue Mobilität für alle“ – darüber tauschten sich am Freitagabend der Berliner Sozialwissenschaftler und Mobilitätsforscher, Professor Dr. Andreas Knie, im Gespräch mit Moderator Josef Gabel aus und ergänzte damit die Veranstaltungsreihe „Igersheimer Gespräche“ um ein weiteres spannendes Thema.

Die provokante Aussage hat offensichtlich Interesse geweckt. Trotz des schwierigen Themas ist die Veranstaltung an diesem lauen Sommerabend gut besucht. Ein Blick auf den Parkplatz zeigt, dass die meisten Besucher die bequemste, wenn auch nicht umweltfreundlichste Art der Anreise gewählt haben.

Seit 1992 bestreitet Professor Knie nach seiner Aussage den Alltag ohne eigenen fahrbaren Untersatz. Für die Veranstaltung in Igersheim habe er sich jedoch in Würzburg abholen lassen – mit dem Auto. Igersheims Bürgermeister Frank Menikheim hat sich auf seinen umweltfreundlichen Drahtesel geschwungen und macht in seiner Begrüßung deutlich, dass seine Gemeinde klimatechnisch auf gutem Wege sei. Eine ganze Reihe von Maßnahmen führt er ins Feld. Sie reichten vom E-Bürgerbus über gute Verkehrsanbindung bis hin zu bedarfsorientierter Ausstattung mit Ladesäule für E-Autos.
 
„Wir leben in einer Automobilgesellschaft“, stellt Professor Dr. Knie sachlich fest. Allerdings könne man seit 2016 einen Rückgang der zugelassenen Autos in den großen Städten bemerken. „Dort verliert das Auto zunehmend an Bedeutung“. Bezogen auf die gesamte Republik komme „Statista“ zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der in Deutschland gemeldeten Pkw im Januar 2024 mit rund 49,1 Millionen Fahrzeugen den Höchststand aller Zeiten erreicht habe.
Rückblickend erinnert sich Professor Knie, dass in den 1980er Jahren in Berlin die ersten Probleme mit dem kolossal zunehmenden Autoverkehr auftraten. Er selbst habe in der Arbeitsgruppe „Autofreies Westberlin“ mitgearbeitet, deren Appelle damals, als man noch leicht hätte gegensteuern können, ungehört verklungen seien. Mit der Wiedervereinigung seien andere Themen in den Focus gerückt.
 
Erst jetzt, wo Deutschland vor einem Verkehrsinfarkt stehe, wo Staus, Streiks und eine marode Infrastruktur zu einer täglichen Belastung würden, beginne allmähliches Umdenken. „Heute sieht man das Auto kritischer. Ausgerechnet die Corona-Pandemie hat uns unsere Abhängigkeit bewusst gemacht – und wir haben Lösungen gefunden, wie beispielsweise das Home-Office. Wir werden Mobilität künftig anders begreifen müssen. Immer größer, weiter, schneller – mit diesem Denken sind wir in eine Sackgasse gefahren.“
 
Allerdings sei die Erkenntnis bei den verantwortlichen Politikern noch nicht wirklich angekommen. Wie sonst sei es zu erklären, dass die Planung rund 6000 weitere Kilometer neue Straßen und 4000 Kilometer Straßenerweiterungen vorsehe. 269,6 Milliarden Euro seien für die Umsetzung des Vorhabens in Aussicht gestellt – Geld das für den Erhalt der vorhandenen Infrastruktur weit besser angelegt wäre.
 
„Bei Gesprächen mit Familien ist mir klar geworden, dass sich viele Menschen einen Alltag ohne Auto gerade im ländlichen Raum nicht vorstellen können“, berichtet der Experte. Da müsse ein Kind in die Kita gebracht werden, ein anderes werde flugs an der Schule abgesetzt, auf dem Weg zur Arbeit noch schnell den täglichen Einkauf erledigen – Termine über Termine. „Ich frage mich ernsthaft, wo wären wir ohne Auto? Würden wir dann heute noch auf Bäumen leben?“
 
Den ÖPNV sieht der Professor nicht als Retter der vertrackten Situation. Tatsächlich haben die Zuhörer sofort deprimierende Bilder vor Augen: Verwaiste, heruntergekommene Haltestellen, übers Land schaukelnde riesige Busse mit zwei, drei Fahrgästen an Bord. Der Linienverkehr hänge, so der Mobilitätsforscher, an völlig veralteten Strukturen und sei längst kein „Jedermann-Verkehr“ mehr. Gerade mal 1,2 Prozent der Passgiere fahre ohne Zwang, alle anderen Nutzer unter verschiedenen Sachzwängen – beispielsweise, weil sie sich kein Auto leisten könnten, zu jung oder zu alt seien. „Starre Fahrzeiten und unflexible Streckenverläufe passen nicht in den heutigen Alltag der Menschen, gehen an ihrem Leben und Bedürfnissen komplett vorbei.“
 
Der Busverkehr solle sich vorrangig auf den Schülertransport konzentrieren. Angefahren werden künftig nur noch Knotenpunkte, so die Vorstellung des Mobilitätsexperten, die restlichen Kilometer müssen individuell mit einem Taxi zurückgelegt werden.
 
Auf die Kosten angesprochen, erläutert Professor Knie die derzeitige Situation: „Ein Kilometer mit dem Taxi kostet im Schnitt zwei Euro – im Vergleich dazu mit dem Bus sechs Euro und mit der Bahn zwischen 16 und 22 Euro.“
ÖPNV und Schienenpersonenverkehr würden zum Großteil aus Mitteln finanziert, die der Bund den Ländern bereitstellt. 2023 seien dafür laut Bundesverkehrsministerium 10,9 Milliarden Euro ausgegeben worden. Berechnungen zufolge werden die Bundesländer 2022 bis 2031 zusätzliche Mittel in Höhe von 17,3 Milliarden Euro erhalten.
 
„Geld ist da, es müsste nur in ein effizienteres System investiert werden“, meint Professor Dr. Knie. „Das bedeutet, digitale Möglichkeiten nutzen – von On-Demand-Fahrzeugen, die vollständig flexibilisiert verkehren, bis hin zu autonomen Roboter-Autos, die gerade in ländlichen Gebieten mit geringer Verkehrsdichte zum Einsatz kommen könnten.“ Daneben gelte es regionale Möglichkeiten zu nutzen. Hierbei käme den Kommunen eine Schlüsselrolle zu, denn sie legten fest, welche Angebote gefördert und den Menschen zugänglich gemacht werden sollten.
 
Der Talk schließt mit dem Fazit: Besser als ständiges Mahnen, das Auto stehenzulassen, sei es Alternativen bereitzustellen, die den Menschen Mobilität und Flexibilität bieten.
 

Bild + Text: Renate Henneberger

Professor Dr. Andreas Knie mit Moderator Josef Gabel